Mich hat in Video inspiriert, über unsere Gesellschaft
nachzudenken:
Hier bei einem Vortrag 2016 |
Vor einigen hundert Jahren lebten wir
in einer „Kultur der Ehre“: Wer mich beleidigt, den muss ich zum Duell fordern.
Ich werde mich nicht selbst erniedrigen, indem ich zu einer anderen Autorität
petzen gehe, z.B. zu einem Richter. Ich regle meine Dinge wie ein Mann, nämlich
selbst. Das Duell war kultiviert: Man nahm nicht einfach ein Messer und stach
zu, man warf den Fehdehandschuh.
Im 19. Jahrhundert änderte sich unsere
Kultur in Richtung „Kultur der Würde“. Ich bin in meiner Würde nicht von
anderen abhängig. Du kannst mich nicht beleidigen. „Der Hund bellt, die Karawane
zieht weiter“, oder um es mit einem Zitat aus dem Film „ Ghandi“ zu sagen: Ihr
könnt mich ins Gefängnis werfen, aber meinen Geist bekommt Ihr nicht.
Das Gegenteil davon wäre: Wenn ich
alles persönlich nehme, habe ich ein ganz schön stressiges Leben. Ich muss dann
andauernd Duelle führen. Da ist es schon besser, wenn ich großzügig über
Beleidigungen hinwegsehe.
Seit einigen Jahren gibt es eine
Rückentwicklung in eine moderne Form der „Kultur der Ehre“, Haidt nennt sie
„Victimhood Culture“ Die „Kultur des Opfers“.
Menschen werden wieder extrem intolerant gegenüber „Beleidigungen“, sogar gegen
unbeabsichtigte und unbewusste. Der Unterschied zur alten Kultur der Ehre: Man
regelt es nicht mehr selbst, sondern man wendet sich an irgendeine Autorität.
Eine sehr wesentliche Entwicklung ist
noch dazugekommen: Es ist üblich, sich für andere massiv einzusetzen. Indem man
sich für andere Opfergruppen einsetzt, steigt der soziale Status. Mir ist
aufgefallen, wie viele Likes jene Männer bekommen, die sich für Frauenrechte
einsetzen.
Der Nachteil besteht für Haidt darin,
dass die Menschen in „gut“ und „böse“ eingeteilt werden. Wer ist für die
Minderheit, wer ist gegen die Minderheit. Es ist nicht mehr das Problem
von nur den Opfern und den Tätern, nein, die Bevölkerung steht auf und setzt
sich für die einen ein, worauf sich der andere Teil der Bevölkerung für die
anderen einsetzt. Dies erlebe ich in unserer Gesellschaft, wo die Frage „Bist
Du für Flüchtlinge oder gegen“ sogar Familien spalten konnte bis hin, dass die
Leute nicht mehr miteinander reden.
Ein weiterer Nachteil: Man wird
übervorsichtig. Die Angst jemandem auf den Fuß zu treten ist allgegenwärtig.
Wenn ich an der Uni Vorlesungen halte, ist ein guter Teil meiner
Aufmerksamkeit, alles zu gendern, hier keinen Fehler zu machen, weil ich sofort
mit einer Beschwerde bei irgendeiner Kommission rechnen muss, die mir
Schwierigkeiten macht. Die Leute stehen eben nicht auf und konfrontieren mich
(„zum Duell“), sie rennen zum Papa, zum Vorgesetzten.
Seit den 1990er Jahren gibt es drei Gruppen (die es in
meiner Jugend nicht gegeben hat), die die politische Diskussion dominieren bis
hin zu einer „Unkritisierbarkeit“ (im englischen „sacred“):
- 1. Schwarze
- 2. Frauen
- 3. LGBT (Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender), erweitert durch das *-Geschlecht.
In Europa würde ich noch hinzufügen:
- 4. Die Juden.
Witze über diese Gruppen sind streng verpönt.
Vor wenigen Jahren sind 5. Migranten im Allgemeinen und 6. Moslems
im Speziellen dazugekommen. Den Islam zu kritisieren ist z.B. in Ländern, die
Facebookzensur haben (wie z.B. Deutschland) zu einem No-Go geworden.
Diese Entwicklung geht einher mit einer dramatischen Abnahme
der Selbstverantwortung. In meiner Jugend gab es die Idee, jemand anderer
könnte schuld sein, nicht. Wer einen Unfall hatte, war selbst schuld. Die Idee,
man könnte jemand anderen klagen, tauchte erst viel später auf.
Ich kannte den Begriff der Selbst- oder Eigenverantwortung
nicht, weil es das andere nicht gab: Es war sonnenklar, dass ich für meinen
Blödsinn verantwortlich bin.
Das hat sich dramatisch umgekehrt, Jeder von uns kennt Fälle,
wo jemand glasklar selbst an einem Schaden schuld ist, aber dennoch versucht,
einen anderen zu finden – das oft mit Erfolg! Unsere Richter unterstützen das.
Kind fällt vom Baum, der Baum ist schuld und wird in einen Zaun gesperrt. Und
die Kindergärtnerin bekommt eine Strafe, weil sie das Kind nicht abgehalten
hatte, auf den Baum zu klettern. Wollen wir in so einer Gesellschaft leben? Ich
nicht, aber leider die Mehrheit schon.
In Ausbildungen gleitet bei Sicherheitsthemen sehr rasch das
Gespräch in juristische Fragen ab: Die Sorge, ich könnte angeklagt werden ist wesentlich
größer als die Sorge, meine Schützlinge könnten sterben.
In alle diese Kulturveränderungen passen die
Helokoptereltern, die seit den 1990er Jahren versuchen, die Kinder vor allem Bösen zu schützen –
obwohl sie dadurch ihre Kinder zu völlig unresistenten Wesen machen: Das
passiert schon beim Auskochen der Flascherl und Desinfizieren von allem, das
mit dem Baby in Berührung kommt und endet bei der Beschwerde beim Stadtschulrat
über irgendeine diskriminierende Äußerung eines Lehrers.
Die Resistenz von Menschen wächst mit der Exposition. Das
Immunsystem wird schwach bei „desinfizierten“ Kindern, Knochen, die nicht
belastet werden, brechen leichter, Menschen, denen nicht beigebracht wird, wie
sie Beleidigungen abstreifen, werden verweichlicht. Das ist die Idee dahinter.
Verweichlichte Kinder werden zu Nörglern und in weiterer
Folge zu Tyrannen.
Resilienz wäre das Gegenteil. Ein Trend allerdings, der sich
nicht durchsetzen kann, denn schon biegen die Rasenmähereltern ums Eck, die ihren
Kindern sämtliche Hindernisse aus dem Weg räumen.
Ist vielleicht was dran?
Wir leben in Österreich in den sichersten Zeiten der
Geschichte, in einem der sichersten Länder der Welt. Wir machen daraus ein
Reich der Angst, wo man sehr vorsichtig sein muss. Wäre es nicht schöner, die
Sicherheit zu genießen? Da müssten wir aber ein paar Tendenzen umdrehen.
Vor allem unsere Kinder anders erziehen.
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